Pflegegeld - Mies( :) )brauch des Sozialsystems? Teil 2/3








Des Dramas zweiter Akt


Nach geraumer Zeit kam das Gutachten ins Haus. Ich hatte damit gerechnet, daß Sophias Zustand in dem einen oder anderen Punkt anders beurteilt werden würde, als er von uns wahrgenommen wurde. Das Ausmaß der nicht korrekt beurteilten Punkte und der im Gutachten falsch dargestellten Sachverhalte hat mich dann aber doch überrascht.  Was bei meiner Gattin der Grund für eine getrübte Stimmung war (nach dem Motto: wir werden nie Recht bekommen, wenn das da so steht), sorgte bei mir für eine leicht schizophrene Reaktion: 

           Einerseits war ich extrem ungehalten, daß man - als Arzt von Amts wegen - solchen Unsinn produzieren konnte. Weswegen ich auch nie von "Kollege", sondern von Gutachter spreche. Würde ICH so offensichtlich schlampig in meinem Beruf als Anästhesist und Intensivmediziner arbeiten, gäbe es - im wahrsten Sinn des Wortes - Tote.

           Andererseits machte es uns diese so offensichtlich schlampige Arbeit (die im Wesentlichen im Abschreiben eines vorbestehenden Gutachtens zu bestehen schien) natürlich leicht, gegen den Bescheid Klage zu erheben.


Ich nahm Kontakt mit dem Verein miteinander auf, damit ich in Puncto Form Unterstützung erhielte.  Dann forderte ich das Gutachten vom Versicherungsträger an und arbeitete es - auch mit Hilfe der Gutachterfibel - durch.

Für alle, die das noch nie gesehen haben, hier der "Kreuzerltest", der entsprechend der Gutachterfibel aufgebaut und Teil des Gutachtens ist (den Langtext davor habe ich weggelassen, weil er für den Großteil der Leser/-innen uninteressant sein wird):







Dann nahm ich erneut Kontakt mit der Rechtsanwältin vom Verein miteinander auf. Die war  SEHR freundlich und SEHR bemüht.  Sie nahm sich DIE Zeit und stellte DIE Fragen, die ich mir von einem seriösen ärztlichen Gutachter erwartet hätte. 



Um dem nächsten Gutachter die Arbeit zu erleichtern, fädelte ich eine neuerliche entwicklungsdiagnostische Begutachtung vor Ablauf der Klagsfrist ein. Mit dem Befund (den die Kollegin im Blitztempo geschrieben und freigegeben hatte) wurde ich wieder bei der Rechtsanwältin vom Verein miteinander vorstellig, die mir dann die Klagsschrift aufsetzte und zur Unterschrift retournierte. Wir unterschrieben die Klage und schickten sie in 2-facher Ausfertigung ans zuständige Arbeits- u. Sozialgericht.


Natürlich hat die Versicherung die Klage abgewiesen,  folglich wurde vom Gericht eine neue Gutachterin bestellt.

Der Unterschied zum ersten Gutachter:






          1. Dieser Besuch wird nicht angemeldet
          2. Der vom Gericht bestellte Gutachter ist UNABHÄNGIG - (im Gegensatz zum ersten
                Gutachter, der vom Versicherungsträger bestellt wird.)








Um sicher zu gehen, daß diesmal ICH das Gespräch führen könne, legten sich meine Gattin und ich einen Notfallplan zurecht, dem zufolge sie mit den Kindern nicht im Haus war, wenn ich Nachtdienst (d.h. 24 h Dienst) hatte.



Tatsächlich kam die Gutachterin eines Freitag mittags, an dem Sophia  noch nicht aus der Schule zurückgekommen war. Zum Glück konnte ich meinen OP an einen Kollegen abgeben, der mir auch sein Auto für die Heimfahrt borgte (ich war wie  immer mit dem Fahrrad in die Arbeit gefahren) - das funktionierte deswegen, weil ich mit der Erkankung unserer Kinder nie hinter dem Berg gehalten und mit den Kollegen recht freimütig auch über die damit verbundenen Probleme gesprochen hatte. Und so fuhr ich nach dem Ausstempeln in Radmontur gekleidet in einem fetten Audi 😊 Vivaldi hörend, nach Hause.
  
   





Zwischenspiel


Diesmal verlief die Visite vollkommen anders:


Sophia war müde und grantig und versuchte, wie sie es in solcher Stimmungslage oft tut, sich die PEG-Sonde zu entfernen, sie blieb beim Füttern nicht ruhig sitzen  (was sie meist nicht tut) und war dann reif fürs Bett. Hätte meine Gattin sie nicht über die Stiege getragen, wäre Sophia kaum in ihr Bett im ersten Stock gekommen.


Die  Kollegin diktierte die Dinge, die sie abfragte, sofort, und wenn sie sich vertat, fiel ich ihr sofort ins Wort und korrigierte sie (auch mehrmals, wenn nötig). Dieses Verhalten wirkt zwar total unhöflich, ist aber zwingend notwendig, um Sachverhalte korrekt aktenkundig werden zu lassen. Die Kollegin war darüber zwar nicht erfreut, schickte sich aber darein.  Ich ließ es mir auch nicht nehmen, die Kollegin auf die schlimmsten Fehler des Vorgutachtens aufmerksam zu machen. Bevor sie uns verließ gab sie uns noch den Rat, eine Fahrtenliste zu schreiben, auf der die wegen Sophias Erkrankung notwendigen Fahrten vermerkt wären.


Nach Erhalt des zweiten Gutachtens wurde uns auch ein Termin beim zuständigen Arbeits- u. Sozialgericht zugestellt. Das zweite Gutachten beschrieb im Großen und Ganzen Sophias Gesundheitszustand korrekt. Bei den Punkten, die mir wichtig waren
( Zubereiten von Sophias ketogener Diät:  auch bei Pulverform aufwendiger als bei einem gleichaltrigen, gesunden Kind, das im Wesentlichen mit dem Rest der Familie mitißt;
Erschwerniszuschlag bei mehr als zwei unabhängig voneinander vorliegenden Funktionseinschränkungen)    legte ich mir Argumente für unseren Standpunkt zurecht.



Die Nacht vor der Verhandlung war ich angespannt wie vor einer großen Prüfung: immerhin galt es auch hier, in kurzer Zeit alle relevanten Fakten unmißverständlich vorzubringen, nichts zu vergessen oder zu übersehen. Und natürlich war ich auch neugierig, ob das Gericht meiner Argumentation folgen würde.

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