Intensivwoche Lignano 2017
Philipp, Epilepsie wegen TSC ( Tuberöse Sklerose Komplex ) seit dem 7. LM, dzt. anfallsfrei |
Sophia, wegen TSC schwere Entwicklungsstörungen, therapieresistente Epilepsie, Ernährung via PEG |
Angefangen hat alles mit einem Zeitungsartikel, den meine
Frau im Sommer 2016 in einer Regionalzeitung aufstöberte. Beschrieben wurde
darin die Aktion „Glück schenken“, durch deren Hilfe Eltern mit besonderen
Kindern 1 Woche Urlaub machen können, 40 Stunden gratis Kinderbetreuung durch freiwillige Helfer inklusive. Als
Initiatorin war Frau OÄ Dr. Baumgartner, Neuropädiaterin bei den Barmherzigen
Schwestern in Linz, angeführt. Tags darauf rief ich die Kollegin an und bat
sie, es mich wissen zu lassen, wenn sie die genauen Termine für das kommende
Jahr habe, damit ich mir in der Urlaubsplanung (die findet bei uns immer zu
Beginn des Jahres für das zweite Halbjahr statt) die entsprechenden Wochen
freihalten könne – auch wenn ich ob der großen Nachfrage keinen Anspruch auf
einen „fixen Startplatz“ erheben könne.
Frau Dr. Baumgartner meinte, sie werde mich die Termine
rechtzeitig wissen lassen, und das war´s für ein paar Monate.
Im Jänner 2017 rief sie mich an und fragte rundheraus, ob
wir diesen Sommer nach Lignano mitfahren wollten. Nur ein Esel hätte die Frage
verneint. Also begannen wir mit den Planungen:
Dachbox ausborgen,
Reisepässe verlängern bzw. für Philipp neu beantragen, Reiseroute
planen, Viacards für Italien besorgen, Packlisten schreiben, das Übliche halt.
Sophias PEG-Sonde wurde im Februar angelegt, aber es
wurde uns versichert, daß wir den Urlaub getrost buchen könnten, weil die Wunde
bis dahin sicher gut ausgeheilt sei.
Wir schmökerten ein bißchen auf der Seite www.glueck-schenken.at herum,
informierten uns ein wenig über Schattenverhältnisse (Sophia mag keine pralle
Sonne) und Rahmenprogramm. Bei einem Termin zur Entwicklungsdiagnostik von
Sophia zerstreute Frau Dr. Baumgartner unsere letzten Bedenken und so freuten
wir uns schon auf unseren Strandurlaub mit den Kleinen. Noch dazu, wie wir
gleichzeitig eine Korsikareise planten und die Woche in Lignano als
Versuchsballon ansahen.
Nach Bezahlen eines Selbstbehaltes erhielten wir
rechtzeitig vor der Abreise die nötigen Anreiseinstruktionen, und so konnten
wir am 17.7. starten.
Erika wollte schon am Vormittag in Lignano sein und sich
ein bißchen einstimmen, obwohl das Einchecken am Hotel erst ab NM möglich war.
Also planten wir die Anreise so, daß wir sehr früh starteten, dadurch hatten
wir auf der Autobahn auch keine lange Wartezeiten in Staus in Kauf zu nehmen.
Die Kinder schliefen auf der Fahrt zwar nur wenig, blieben aber ruhig.
Frühstück gab es für alle an der Autobahnraststätte Udine Süd. Nicht sehr
einladend, aber zweckdienlich. Und für mich das erste Mal, daß ich Sophia via
PEG quasi im Freien fütterte.
In Lignano angekommen, spazierten wir ein paar Stunden
herum, fanden dort eine Eisdiele mit Bio-Eis – die wir auch später noch
aufsuchen würden - , nette Karten zum Verschenken, sonst fanden wir aber
nichts, was uns besonders angesprochen hätte.
Schließlich begaben wir uns zur Ferienanlage, in der das
Hotel stand: ich spreche zwar kein Italienisch, aber die Damen an der Rezeption
wußten rasch, zu welcher Reisegruppe wir gehörten, und gaben uns, obwohl wir in
Österreich keinen Behindertenparkausweis haben, einen ebensolchen für das
Feriendorf. Damit konnten wir direkt neben dem Hotel parken und dort die ganze
Woche stehen bleiben.
Bereits bei unserem Eintreffen wurden wir von den uns zur
Verfügung gestellten freiwilligen Helfern unterstützt. Christoph und Markus
halfen mir, unser Gepäck in die Zimmer -
wir hatten zwei Zimmer bekommen - im vierten Stock zu bringen. Das Hotel war
nicht nur barrierefrei, sondern verfügte
auch über eine eigene Dialysestation – die von den Teilnehmern dieser Woche
aber nicht in Anspruch genommen werden mußte.
Schon das erste Kennenlernen zwischen unseren Kindern und
„unseren“ Betreuern verlief vielversprechend,
und wir Eltern waren recht bald
überflüssig.
entspannte Helfer, entspannte Kinder |
Auch die Kennenlernrunde der Eltern war sehr nett, und
ich begann, meine Meinung über die anstehenden Seminare zu überdenken – anfangs
war ich skeptisch gewesen, das wich nun einer positiven Neugier.
Im Grunde waren die Tage sehr klar strukturiert: nach dem
Frühstück wurden die Kinder strandtauglich an die Betreuer übergeben. Während
die Kinder mit den Betreuern Spaß am Strand hatten,
fanden die
Vormittagsseminare statt, abgehalten von den Ehepaaren Baumgartner bzw.
Pilshofer in Form von "Doppelconferencen" .
Nach dem Mittagessen waren wahlweise Seminare, Plantschen mit den
Kindern im Pool
(mit Rutschen)
/ am Strand, Zeit zur freien Verfügung oder
Kaffeetratsch mit den anderen Eltern am Programm. An den Abenden fanden wieder
Seminare für die Eltern statt, für die Geschwisterkinder gab es ein eigenes
Abendprogramm
Die Damen waren WIRKLICH SEHR geduldig -> DANKE! |
, kleine Kinder wurden den Betreuern zur „Gangaufsicht“ des
jeweiligen Stockwerkes überantwortet. Nach den Seminaren saßen die Eltern noch ein Weilchen beisammen, und es ergaben sich recht interessante Gespräche. Ein Elternteil löste dann gegen 23:00 den Kinderdienst ab. Zwei Abende hatten die Eltern zur freien
Verfügung, am letzten Abend genossen wir eine kurze Diashow – mit netten
Schnappschüssen, aufgenommen von BetreuerInnen oder den SeminarleiterInnen.
Aufgrund meines Berufes habe ich mich schon viel mit
Kommunikation auseinandergesetzt, und die meisten Themen waren mir geläufig.
Trotzdem waren diese Seminare für mich richtig spannend, weil toll aufbereitet
und vorgetragen. Auch Elternpaare, die schon zum wiederholten Male hier waren,
fanden in den Seminaren für sich Neues zum Mit-nach Hause-nehmen. Außerdem hat
man selten die Gelegenheit, sich mit so vielen Eltern, die mit ähnlichen Dingen
zu kämpfen haben, auszutauschen.
Zum Einstieg suchte sich jeder ein Bild aus mehreren aus,
anhand dessen er sich vorstellte. Dann notierten wir auf vier verschiedenen
Zetteln (pro Ehepaar) unsere Gedanken zu den Themen „ich“ , „wir“, „unsere
Kinder“, „unsere Umwelt“ . Diese Themen wurden dann in den folgenden Tagen
aufbereitet und bearbeitet. Das klingt zwar etwas trocken, war es aber ganz und
gar nicht. Nicht nur, weil beim Behandeln mancher Themen Tränen flossen,
sondern auch, weil nach meinem Dafürhalten viel herzhaft gelacht wurde.
Dazu
trug auch bei, daß ein paar Pärchen Ihre Kennenlerngeschichten zum Besten gaben
(dafür durften sie sich dann ein Lied wünschen, daß alle zu singen versuchten:
das war wirklich lustig und durchaus auch romantisch J ). Das hat natürlich auch einen ernsten
Hintergrund: Eltern können den Herausforderungen, denen sie im Alltag mit
Kindern mit besonderen Bedürfnissen begegnen müssen, besser gegenübertreten,
wenn sie die eigene Beziehung nicht aus den Augen verlieren. Also tut es der
ganzen Familie gut, wenn die Eltern trotz des ganzen Trubels sich selbst und
den Partner/die Partnerin nicht aus den Augen verlieren, und sich in
schwierigen Zeiten an die Anfänge erinnern. So bleibt der Wille, zueinander zu
halten, am Leben und es wird einem selbst erleichtert, Mißverständnissen, die
in Partnerschaften entstehen und diese gefährden könnten, nicht zu viel Gewicht
zu verleihen. Verzeihen fällt so einfach viel leichter.
Für mich neu war der Gedanke, daß alle Angehörigen /
Freunde mehr oder weniger die Trauerspirale mitmachen, wenn eine entsprechende
Diagnose bekannt wird. An sich ist das logisch. Ich war aber in unserem Fall
derart mit unserer Kernfamilie beschäftigt, daß ich mir über die restl. Familie
/ Freunde wenig Gedanken machte und mir zwar die Trauer erklären konnte, nicht aber das plötzlich gehäufte Auftreten
von gut gemeinten guten Ratschlägen. Da waren halt alle zu einem ähnlichen
Zeitpunkt gleich weit in der Spirale.
Nett waren zwei Geschichten, die Frau Dr. Baumgartner von
anderen Familien bzgl. „blöd schauen“ erzählte:
- Eine Familie mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen sitzt im Gasthaus und wird während der Mahlzeit ständig von einer schräg gegenüber sitzenden Familie beobachtet. Nach dem Essen, als die erstere Familie die zweite - leicht genervt wegen der „Observation“ – beim Verlassen des Lokals passieren muß, wird sie vom Vater von Familie 2 wie folgt angesprochen: „ Es tut mir leid, daß wir während des Essens ständig zu Ihnen schauen mußten. Aber so liebevoll, wie Sie mit Ihren Kindern umgehen, das sieht man einfach selten.“ J J
- Eine Frau, selbst Mutter eines im Rollstuhl sitzenden Sohnes, ertappt sich selbst dabei, wie sie in der Landstraße in Linz (DIE Einkaufstraße in Linz) einem anderen Kind im Rollstuhl lange hinterherblickt. Sie kommentierte das dann mit den Worten: „ Die Begleitperson muß sich jetzt auch was Schönes von mir gedacht haben. Dabei habe ich dem Rollstuhl nur so hinterher geschaut, weil ich mir dachte: DIESES Modell sollten wir uns auch anschaffen.“
Während wir Eltern also unsere AHA-Erlebnisse hatten,
hatten die Kinder mächtig Spaß am Strand –
der übrigens auch für
Rollstuhlfahrer durch Matten befahrbar gemacht worden war.
Meine Frau und ich nahmen am gemeinsamen Kaffee Trinken an den Nachmittagen nicht teil, weil wir das durch die Betreuer zu unseren Gunsten verschobene Verhältnis Kinder : Erwachsene für mehr Zeit mit jeweils EINEM Kind nutzen wollten bzw. um einmal einen Nachmittag nur mit Rapahel allein zu verbringen (er entschied sich für Eis-Essen; wobei der Weg vom Feriendorf zu UNSERER Eisdiele relativ weit war).
An den freien Abenden genossen meine Frau und ich einen
romantischen Spaziergang am Meer bzw. ein gemütliches Essen. Beides ist im
Alltag zu Hause kaum zu realisieren.
Am letzten Nachmittag luden wir unsere Betreuer zum
Eisessen in der oben erwähnten Bio-Eisdiele ein. Zwar wollten sie sich nur mit
einer Portion bescheiden, aber offensichtlich schmeckte es ihnen so gut, daß
wir sie nicht lange zu einem Nachschlag überreden mußten J .
Am Heimweg
wurde dann noch ein wenig gewuzzelt
– sehr zur Freude von Raphael, und nicht nur ihm hat das Spaß gemacht .
Am letzten Tag waren die Statements der Eltern während
des Rückbklickes sehr positiv: die eher ängstlicheren Eltern nahmen sich für
das nächste Mal vor, die Kinder leichter den Betreuern zu übergeben, weil die
Betreuer ALLEN Herausforderungen, denen sie sich stellen mußten, MEHR ALS
GEWACHSEN WAREN: mit Herz, mit Charm,
mit Authentizität.
Mein herzlicher Dank gilt nicht zuletzt dem bewundernswerten Engagement dieser jungen Leute, die ihre Freizeit unentgeltlich in den Dienst der guten - und gewiß nicht immer einfachen - Sache stellen und Familien wie uns durch solche Wochen lotsen.
Kurz: Wir werden eine solche Woche nach Möglichkeit
wiederholen und können das anderen Eltern von Kindern mit besonderen
Bedürfnissen nur wärmstens empfehlen. Entsprechende Intensivwochen gibt es auch in Linz (Österreich) und Münster (Deutschland).
Weil es allen so gut gefallen hat, haben die Eltern für die Organisatorinnen, Frau OÄ Dr. Baumgartner und Frau OÄ Dr. Pilshofer ein paar Kleinigkeiten zusammengetragen und ihnen Folgendes zukommen lassen:
" Wir wollen .... mit unseren Kindern weiter Ballon fahren: Es geht langsam bergauf, aber es geht bergauf; um höher zu kommen, müssen wir unnötigen Ballast abwerfen; gelegentlich werden wir vom Wind verblasen und müssen unser Ziel über Umwege ansteuern. Das dauert zwar länger, aber wir nehmen am Weg viel mehr wahr als die Leute, die in den Flugzeugen sitzen und ihrem Ziel entgegenhetzen. "
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